Der Weg der Mitte in der Übung
Teisho - Zen-Meister Hinnerk PolenskiDaishin Zen Rohatsu Sesshin Januar 2017
Sitting long and getting tired - langes Sitzen, müde werden.
Der Weg der Mitte in der Übung.
Die Größe des Taoismus besteht darin, dass er erkannt hat, dass es zwei Prinzipien gibt, nämlich einen absoluten und einen relativen Aspekt. Genau dieses Prinzip verwirklichen wir in der Übung, in dem Weg. Der relative Aspekt – Samsara, die Welt der Verblendung, die Welt des Leidens, aber auch die Welt der möglichen Befreiung, die Welt des Dharma-Weges, der Weg des Zazen. Der absolute Aspekt ist unsere ursprüngliche Natur, die Essenz von allem Seienden, der Urgrund, und wird Nirwana genannt - in alter Zeit. Im Zen werden diese beiden Dinge relativ und absolut genannt, das ist typisch Zen. Viele Ausrichtungen nennen die relative Welt als Jammertal, und das ist die Welt des Leidens und so weiter. Die verstehen etwas ganz Wesentliches nicht, nämlich dass es einen Sinn hat, dass wir hier sind. Denn nur in dieser Welt, in dieser Konstruktion von Welt wie sie ist, ist Befreiung so möglich. Wenn man sich eine Welt vorstellen würde von Dämonen, wo nur Krieg ist und nur Horror und nur Schrecken, dann ist die Dimension des Überlebens und des Leidens so groß, dass Befreiung so gut wie unmöglich ist. Wenn man sich eine Welt vorstellen würde von unsterblichen Göttern, und der Gedanke ist Macht und Magie, warum sollte man sich dann befreien? Warum sollte man sich dann befreien, warum?
Nur die Welt der Menschen hat diese beiden Aspekte, dass der Mensch einfach in eine Welt hinein geworfen ist und in der Gesellschaft von anderen diese Welt irgendwie macht. Und in dieser Gesellschaft von anderen sich auch eine Illusion schafft und irgendwann vergeht. Und dazwischen passieren viele Dinge, sehr viele freudvolle, überraschende, wunderbare Dinge. Aber diese Zeit ist auch durchzogen durch das Gesetz von Dukkha, davon, dass die Dinge leidbehaftet und unbefriedigend sind – letztlich dadurch, dass das was wir machen und konstruieren, letztlich wieder vergeht, das alles was entsteht wieder vergeht. Und gleichzeitig hat der Mensch tief in sich eine Ahnung - das Minimum dieser Ahnung ist die Liebe, wenn sie denn nicht Gier ist oder Bedürftigkeit oder etwas anderes, sondern in ihrer reinen Form nichts weiter ist als das Erspüren über mich hinaus in den anderen hinein und in andere. Und hier und da darüber hinaus spürt der Mensch etwas Großes, da ist dann eine Sehnsucht und er kommt an ein unbekanntes Gegenüber, und wenn wir dieses nicht definieren in Form einer Religion oder einer Ideologie oder einer materialistischen Ausrichtung, sondern dort stehen bleiben, offen, dann, würde ein Christ sagen, sind wir offen für Gott.
Der Taoismus geht aber noch einen Schritt weiter - und diesen Schritt finde ich großartig - und er hat einen sehr starken Einfluss im Daishin Zen, dass es nämlich nicht nur einen absoluten und einen relativen Aspekt gibt, die auf dem Weg immer mehr sichtbar eins sind – Nirwana und Samsara sind eins, Verblendung und Erleuchtung sind eins - sondern in dem Bereich der Verblendung des relativen Lebens, der relativen Welt, der Welt von Anicca, Dukkha, Anatta, der Welt von Vergänglichkeit, Leidhaftigkeit und der nicht-Substanz, dem nicht-Wesentlichen, gibt es zwei Aspekte. Nochmal, also innerhalb der beiden Großen gibt es in dem Relativen zwei Aspekte - und diese zwei Aspekte sind eine gute Ausrichtung ins Heilsame. Und die Missachtung dieser beiden Aspekte, beziehungsweise das Aus-der-Mitte-kommen dieser beiden Aspekte, führt zu Leiden im Einzelnen oder auch in der Gesellschaft. Diese beiden Aspekte sind der Aspekt des Weiblichen und der Aspekt des Männlichen. Und wahrscheinlich ist es auch Karma und gut gemeint, dass es Männer und Frauen gibt, auch wenn das manchmal schwierig ist. Aber männlich und weiblich sind zwei Geheimnisse; die in der Postmoderne populäre Gender-Theorie, die über die selbstverständliche Gleichheit vor Gesetz und Beruf und den Rechten von Mann und Frau hinaus davon ausgeht, dass die beiden genetisch gleich sind oder insgesamt gleich sind, das ist ein ziemlicher Unfug. Mann und Frau sind außergewöhnlich unterschiedlich. Es ist möglich, wenn ihr einen sehr, sehr tiefen Zen-Weg geht, als Frau für einen Moment so weit ins Männliche einzudringen, dass ihr für einen Moment wie ein Mann denkt. Das ist möglich für einen Mann, wenn er sehr, sehr tief den Zen-Weg geht und das ist immer der Weg der Mitte dieser beiden Aspekte, dass man für einen Moment vollkommen wie eine Frau ist. Ich kann euch sagen - als Mann der das einmal erlebt hat - krass. Das ist so doll anders, das ist ein Hammer.
Also liebe Gender-Freaks, Mann und Frau sind sehr, sehr unterschiedlich. Nicht die Nivellierung von männlich und weiblich oder die Auflösung, sondern die Einheit von männlich und weiblich in uns selbst ist die Lösung. Der Weg der Mitte ist der Weg der Mitte zwischen männlich und weiblich im Mann und in der Frau. Wir wollen jetzt nicht hineingehen, was natürliche Weiblichkeit und Männlichkeit ist - das ist im Moment ein anderes Thema von außergewöhnlicher Wichtigkeit - sondern die Frage ist: Der Weg der Mitte in der Übung. Das heißt, dieses männliche und weibliche Prinzip wirkt auch in der Übung. In der Übung ist das Männliche die Fokussierung, die Aktivierung des Willens und die Ausrichtung des Willens auf Nichts, das ist die höchste Form. Und das weibliche Prinzip ist das Loslassende, Hingabevolle, die Hingabe in die Ewigkeit hinein. In der Übung ist es das Fokussieren auf meine Übung, es ist das Festhalten, Halten meiner Übung - so lange, bis die Dinge die Wolken sind und Illusionen und Träume sich auflösen, bis dahin. Das loslassende weibliche Prinzip ist an dieser Stelle zweierlei - nämlich die ausdauernde Ebene, und es ist auf dem spirituellen Weg von außergewöhnlicher Wichtigkeit, es ist nicht das punktuelle Loslassen in irgendeine Situation, sondern es ist die ausdauernde Hingabe an Gott. Die ausdauernde Hingabe an das Ewige. Die ausdauernde Hingabe in die vollkommene Einheit. Das ist für den spirituellen Weg von außergewöhnlicher Wichtigkeit.
In der Übung ist es im rechten Moment, in dem Moment, wo der Fokus seinen Sinn erfüllt hat, nämlich innerhalb der Illusion, der Gedanken, der Emotionen, Karma, Wolken eine Mitte zu bilden, und Ruhe eintritt - in dem Moment sollte sich der weiblich Aspekt öffnen, sonst verfehlt man die Übung. Dann ist vollkommene ausdauernde Hingabe, ein Nichts, dass sich dadurch auszeichnet, dass das Ich nicht mehr kontrolliert, und kein Konzept mehr da ist, und keine anthropomorphe menschliche Ausrichtung oder Vorstellung mehr da ist. Sondern eine unendliche Offenheit, die irgendwann in eine unendliche Weite übergeht. Das ist der Übergang; von hier aus ist alles möglich. Diesen Zweiklang in eine Einheit zu bringen, ist die hohe Kunst der Übung, die erst einmal wie ein schwingendes Pendel ist, das irgendwann zur Ruhe kommst - dann ist Stille und Freiheit.
Als ich klein war, hatte mein Vater ein Schiff aus Holz, dieses Schiff hieß Frieda. Ich glaube es war 12 m lang und war sehr archaisch und verfügte über einen Motor mit einem Zylinder, der so groß ist wie Waltraud - der eine Zylinder. Um diesen Motor anzuwerfen, gab es neben diesem Motor ein Schwungrad, von dem ich ausgehe das wiegt so viel wie ein Smart – vielleicht weniger - ein riesiges Schwungrad. Man musste oben den Zylinder aufschrauben, dann kam da so eine Patrone rein, die aussah wie eine Zigarette, die wurde angesteckt, reingetan, zugeschraubt, und dann musst man dieses Schwungrad anwerfen. Für mich als Kind unmöglich, ich habe mich daran gehängt, da passierte nichts. Mein Vater oder Onkel Hansi - die waren kräftig, die haben aber auch geschwitzt, wenn sie das Ding in Gang gesetzt haben. Und dieser riesige Motor machte dann bluup, bluup, bluup und irgendwann lief das Schwungrad und dann machte es blup, blup, blup ... und dann musste man das Rad abkoppeln und dann lief dieser Motor, eine Kaffeetasse bewegte sich dann auf dem Tisch von links nach rechts, und wir wurden alle durchgeschüttelt. Wenn man dieses Bild einmal nimmt, dann ist das Anwerfen dieses Einzylinder-Motors anstrengend, fokussiert, konzentriert, es entspricht dem Fokus auf eure Übung. Aber wenn das Ding läuft und ihr dreht weiter an dem Rad, dann haltet ihr im schlimmsten Fall den Motor wieder an.
Die Mitte der Übung ist die rechte Anstrengung, die rechte Fokussierung, die rechte Konzentration, und auf der anderen Seite das rechte Loslassen, die sanfte, fließende Hingabe hinein in das reine Sein.
Hingabevoll sein.
Das ist jetzt an dieser Stelle sehr wichtig.
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