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14.07.2012

„Atem geschehen lassen, voll zulassen“ - Zen und Yoga

Von Joachim Dettmann, Yoga-Lehrer und Zen-Praktizierender

Zen und Yoga haben dieselben Wurzeln und ergänzen einander. In beiden Systemen sind die Lebensenergie des Körpers, „Ki“ im Zen und „Prana“ im Yoga, und der Geist miteinander verbunden. Was im Körper passiert, passiert auch im Geist und umgekehrt. Für jeden Gedanken benötigen wir Energie. Dieser Vorgang wirkt sowohl auf das Energie– wie auf das Geistfeld. Das Geistfeld ist verbunden mit dem kosmischen Geist. Man kann es sich weit und offen vorstellen, was es ja auch tatsächlich ist. In der Stille und im Schweigen dieses Feldes kommt der Mensch in Kontakt mit dem unendlichen kosmischen Bewusstsein ohne Bewegung z.B. im Zazen im Zen oder als ununterbrochener Strom wie fließendes Öl z.B. im Yoga.

Mit der Einatmung „zapfen“ wir dieses universelle Energiefeld außerhalb unseres Körpers an. Visualisieren wir diesen Vorgang, dann stellen wir uns vor, dass wir dieses Licht, diesen Lichtstrom über den Brustkorb eingeatmet und dann mit der Ausatmung entweder in geschwächte Gelenke, Organe, im das Hara oder in das gesamte Energie–System des Körpers lenken. Diese Übung ist besonders hilfreich nach längeren Meditationszeiten oder auch nach längerem Sitzen z.B. am Schreibtisch im Alltag.

„Atem geschehen lassen, voll zulassen“, das ist eine Übung nach Graf Dürkheim. Der Zen-Meister und Psychologe empfiehlt, beim Ein- und Ausatmen nichts hinzufügen und nichts abkürzen. In seinem Buch „Hara – die Erdmitte des Menschen“ schreibt er: „Seit 30 Jahren übe ich, dem Atem bewusst zuzuschauen ohne ihn zu stören!“. Auch wir neigen dazu, wenn wir die Achtsamkeit auf den Atem lenken, das Einatmen unbewusst zu beeinflussen und dem Ausatmen nicht genügend Zeit zu geben. Den Atem (und damit alle Dinge) einfach zu lassen, sein zu lassen, wie er ist, das lernen wir im Yoga wie im Zen.

Zen und Yoga haben die selben Wurzeln

Die meisten spirituellen Traditionen wie der Hinduismus und der Buddhismus wurzeln in den „Veden“. Die „Veden“ sind die „ewigen Wahrheiten“, die Gott den großen alten Rishis Indiens offenbart hat. Rishi waren damals die heilige „Seher“. Das Alter der „Veden“ wird auf ca. 5000 Jahre geschätzt, zuerst wurden sie nur mündlich weitergegeben und später dann schriftlich. In den Jahrtausenden bis zur Zeitenwende, der Geburt Christi, wurde überwiegend geistig geübt, der Körper wurde eher als lästig empfunden. Um Christi Geburt änderte sich das. In dieser Zeit entstanden die Tantras, spirituelle Schriften, die den Körper als „Tempel der Seele“ in die Übungen einbezogen. Daraus entwickelte der indische Gelehrten Patanjali die bekannten 195 Yoga-Sutras. Patanjali lebte in der Zeit zwischen dem 2. Und 4. Jahrhundert nach Christus. Aus den Sutras erwächst der achtstufige Pfad, der heute in allen ernsthaften Yoga-Schulen gelehrt wird. Die 7. Stufe dieses Pfades des Patanjali ist Dhyana, die Meditation. Und so schließt sich der Kreis zu Zen.

Parallel zu Patanjali entstand das System des Hatha-Yoga. Hatha bedeutet „Kraft “ und ist eine Form des Yoga, bei der das Gleichgewicht zwischen Körper und Geist vor allem durch körperliche Übungen - „Asanas“ - , dann durch Atemübungen (Pranayama) und Meditation angestrebt wird.

Anjochen heißt, die fünf Sinne und den niedrigen Geist disziplinieren

Der Sanskrit-Begriff Yoga stammt von „yuga“ und bedeutet im Deutschen „Joch“, „yuj“ steht für: anjochen, zusammenbinden, anspannen. Yoga kann also sowohl „Vereinigung“ oder „Integration“ bedeuten, als auch im Sinne von „Anspannen“ des Körpers an die Seele zur Sammlung und Konzentration bzw. zum Eins werden mit Gott verstanden werden. Das Wort „Yoga“ beinhaltet demzufolge in sich schon eine Aufgabe, die erfüllt werden soll. Gemeint ist, die fünf Sinne und den niederen Geist so zu disziplinieren, um etwas Höheres, Absolutes dahinter zu erfahren.

In vielen westlichen Yoga-Schulen wird dieses weitergehende, hohe Ziel bei den Übungen heute noch außer Acht gelassen. Im Vordergrund stehen das Erreichen und der Erhalt von Gesundheit sowie die Fitness. Grundsätzlich ist das nicht abzulehnen, denn viele Menschen finden damit den Einstieg in ein wunderbares Übungssystem für die Gesundheit. Und wenn die Zeit reif ist, dann wenden sie sich spirituellen Zielen zu. Darum sind Yoga und Zen für mich ideale Ergänzungen und Kombinationen.

Nur regelmäßiges Üben bringt Erfolg

In einer Yoga-Stunde werden Bewegungsreihen wie der „Sonnengruß“, tibetische Niederwerfung oder die „Acht Bewegungsrichtung“ oft am Anfang zur Erwärmung von Körper und Gelenken gelehrt, verschiedene Entspannungstechniken runden die Übungen ab. Entspannungsphasen zwischen den Asanas, den einzelnen Übungen, sind sinnvoll, damit sich die Atmung beruhigen und das Ki, Prana im Energiesystem gespeichert werden kann. Die Übungsstunden werden häufig mit einer Meditation abgeschlossen.

Erst regelmäßiges Üben, mindestens mehrmals pro Woche, bringt Erfolg. Ein neues Körpergefühl, besserer Kondition, Flexibilität, Muskelkraft, geistige Stärke und Harmonie von Körper, Energie und Geistfeld sind zu spüren. Vor einer Yogastunde soll man möglichst nichts essen. Hilfreich ist es, immer zu den gleichen Zeiten und am gleichen Ort zu üben.

Der Atem verbindet Körper und Geist

Die Lebensenergie ist die Brücke zwischen Körper und Geistfeld. Um Einfluß auf die „Ki“/“Prana“-Ebene auszuüben, werden im Yoga viele Übungen mit dem Atem durchgeführt. So werden z.B. alle Bewegungen des Körpers in dynamischen Reihen und auch beim Hineingehen und Auflösen einer Übung mit Einatmen oder Ausatmen fließend verbunden. Anfänger brauchen etwas Zeit bis der Gleichklang von Atem und Bewegung zur Gewohnheit wird. Fortgeschrittene beginnen immer mit Atemübungen und dann erst setzt die Bewegung ein.

In der sogenannten „Haltephase“ nimmt sich der Übende Zeit für drei bis sechs oder mehr langsame Atemzüge, um sich nacheinander die drei Ebenen:

Atem - Körper - Geist

bewusst zu machen, zu überschreiten und den Strom des grenzenlosen, reinen Bewusstseins im weit ausgedehnten Geistfeld wahrzunehmen. Dabei soll man sich Zeit lassen, genießen und Freude empfinden.

Der Übungsleiter kann die Übenden mit Formeln durch die drei Ebenen führen oder wer allein übt, kann diese Formeln als inneren Dialog sprechen. Der Weg in der „Haltephase“ kann natürlich nach eigenen Wünschen individuell gestaltet werden. Als Beispiel hier eine Anleitung, die ich gern benutze. Jeweils mit einem Einatem und langsamen Ausatmen verbunden sind die Affirmationen:

„lang ausatmen“
„Form sehen im Licht“
„Lächeln und nachgeben“
„das Geistfeld weit und offen im Schweigen“.

Je häufiger diese Sätze im innern Dialog wiederholt werden, um so schneller werden sie integriert und führen in die angesprochenen Ebenen. Dabei ist die Vorstellung des Licht-Körpers sehr hilfreich. Auf diese Weise kann man sich den Energiekörper bewusst machen, der über die Grenzen des physischen Körpers hinausreicht.

Wenn man in den Entspannungen das „Lächeln“ physisch lernt, kann das gefühlsmäßige „Lächeln“ in der Haltephase die ganze Form überfluten, Spannungen nachgeben und im Geistfeld Freude auslösen.

Yoga als sinnvolle Kombination mit Zen

Wenn ich Yoga während eines Sesshins anbiete, berücksichtige ich in meinem Übungsprogramm die langen Sitzperioden der Teilnehmer. Die Meditierenden sind besonders belastet in den Knie-und Hüftgelenken und durch Verspannungen im ganzen Körper. Um das wieder auszugleichen, üben wir in den folgenden Yogastunden Entspannung und leichte bis mittelschwere Asanas (Übungen). Die Zwerchfell-Atmung wird unterstützt mit dem einfachen und doppelten „Beinverschluss“, mit dem „Krokodil in der Bauchlage“ und dem Yoga-Sitz in der „Mutterhaltung“.

Den Begriff „Hara“ gibt es im Yoga gar nicht. Die Entdeckung der Entwicklungsfähigkeit der Hara-Ebene und seine Bedeutung für das Leben als Kraftzentrum ganz allgemein sind ein großer Verdienst der Zen-Meister. Parallelen zum Hara finden sich im Yoga allerdings in der Chakra-Lehre. In Indien ist diese Wissenschaft der Energiezentren des Körpers sehr weit entwickelt. Sie ist für die indischen Menschen geeigneterer als für uns hier im Westen, da Inder mehr im unteren Körper bewusst sind. Menschen des Westens dagegen sind stark im oberen Körper und Schulterbereich bewusst. Die Folge sind zahlreiche Zivilisationskrankheiten wie Anfälligkeit, Schwäche, Mangel an Lebenskraft und negative Veränderung der Atmung bis zur sogenannten paradoxen Atmung. Menschen mit dieser Atmung ziehen den Bauch ein bei der Einatmung, was ein grober Fehler ist. Nur die langfristige Übung der Zwerchfell- kombiniert mit der Hara-Atmung kann diese Gewohnheit auflösen. Auch wird das in Indien gängige Anhalten des Atems im Zen wie im Yoga hierzulande eher abgelehnt, da es nicht ganz ungefährlich ist.

 

Joachim Dettmann ist 84 Jahre alt, lebt und arbeitet in Malente und praktiziert Yoga seit 35 Jahren. Er leitet seit 25 Jahren Yoga-Übungsgruppen. Seit 2010 begleitet und unterstützt der ehemalige Einzelhandels- und Hotelkaufmann Daishin Zen-Sesshins im Osterberg–Institut bei Malente durch Yoga-Angebote.

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