Der Weg zur rechten Meditation
Rechte Anstrengung - rechte Achtsamkeit - rechte Versenkung
Zen-Meister Hinnerk Polenski
Vortrag auf dem Daishin Zen Sesshin Juli 2015, Zen Kloster und Seminarzentrum Buchenberg/AllgäuIm edlen achtfachen Weg gibt es drei Aspekte, die uns einen Hinweis auf die Übung geben:
- Rechte Anstrengung
- Rechte Achtsamkeit
- Rechte Versenkung
Wenn wir den spirituellen Weg betrachten, den viele Menschen seit Jahrzehnten in diesem Land gehen, dann sehen wir viele schöne Richtungen, viele gute Ansätze - von Zen über Vajrasana-Buddhismus bis hin zum Yoga und eigenen Entwicklungen, die häufig aus Amerika kommen. Viele davon sind aufrichtig im Bemühen um Freiheit und Herzweisheit. Dennoch gibt es immer Ungleichgewichte, die, je nach Richtung, dann den Weg doch irgendwo schwermachen und dahin führen, dass man gefühlt in der Übung selbst nicht weiterkommt. Es gibt viele Interpretationen zu rechter Anstrengung, rechter Achtsamkeit und auch zu rechter Versenkung. Allein zu rechter Versenkung (samadhi) gibt es Unmengen an wichtiger und guter Literatur und Übungen. Auch Achtsamkeit (sati) ist heute ein Begriff, der im Theravada, im Satipatthana und in Vipassana viel benutzt wird. Auch dort gibt es sehr viel Material. Zu rechte Anstrengung hören wir sehr viel im Zen.
Ich will heute gar nicht in diese verschiedenen Interpretations- und Übungsfelder hinein gehen, sondern die drei Worte einfach mal von der Wurzel her anschauen, weil sie drei verschiedene Dimensionen unserer eigenen Übung im Zen sind.
Dharana - Rechte Anstrengung
„Sometimes effort necessary“ sagt mein Lehrer häufig. Und diese Anstrengung ist eher Yang, fokussiert. Häufiger aber ist sie wie ein Feld von Ausdauer und eher Yin, also weiblich, weibliche Kraft-Tugend. Ich bleibe auf dem Weg, den zu gehen ich gewählt habe. Manchmal ist es aber auch wichtig, sich zu fokussieren. Ich sitze, und ich spüre, dass ich mit meiner Übung nicht weiterkomme und ich kriege dann den Hinweis, den Atem zu vertiefen oder das Atemzählen zu verstärken. Und jetzt folkge ich dem - und gehe in Anstrengung. Dann ist Sitzen anstrengend.
Betrachten wir den spirituellen Weg vieler Menschen in unserem Land, dann sehen wir dass der größte Teil derer, die einen solchen Weg beanspruchen, nicht nur keine Anstrengung in der Übung zulassen, sondern sie sogar als „negativ“ sehen. "Man soll ja nichts wollen", "es gibt kein Ziel", "Absichtslosigkeit" - Das alles sind so Worthülsen. Man versucht einfach nur in der Dimension der Hingabe und des Zulassens zu sich selbst zu kommen. Es gibt aber auch einen kleineren Teil, und der ist häufig im deutschen Zen anzutreffen, wo Anstrengung so hoch gehängt wird, dass es eigentlich nur noch anstrengend ist und man voll anstrengend an der Sache vorbei rauscht. Fakt ist, das weder das Eine noch das Andere falsch ist, einerseits die Dimension der Hingabe, des Loslassens, des Sich-fallen-lassens, des Zulassens, andererseits die Anstrengung, die Ausdauer und das Fokussierte und der Versuch, durchzubrechen. Es kommt letztlich immer darauf an, wer wir sind. Es gibt Menschen, für die von Anfang in Hingabe und Leichtigkeit zu sitzen, in einem Gefühl der Einheit, perfekt ist. Aber nur dann, wenn es nicht nur auf dem Sitzkissen gelingt, sondern sich auch in die Welt des Alltags hineinträgt. Für andere ist es wichtig zu lernen, das anstrengende Ausdauer ein Element unseres Lebens ist.
Und genau an dieser Stelle sind diese drei Aspekte des edlen achtfachen Pfades von großer Bedeutung und Wichtigkeit, weil sie für uns selber Dimensionen der Übung öffnen. Das alte Sanskritwort für Anstrengung ist „dharana“. Es meint die Fokussierung und Konzentration in der Übung auf einen Punkt. Wenn ich sitze, und es denkt, und es fühlt, und diese Gefühle und Gedanken sich verstricken und die Übung des Zazen taucht nur noch alle 42 Sekunden mal auf - eigentlich wollte ich ja nur sitzen - und dann denke ich unentwegt weiter, dann ist das Sitzen eine Art Verschwendung. Ich vertrödele unglaubliche Mengen an Zeit und könnte eigentlich was anderes tun. Denn nur die Zeit zählt für Zazen, die ich auch wirklich in der Übung bin. Wenn ich zum Beispiel Liebeskummer habe und es nicht schaffe, aus dieser der Gedankenkette „wenn ich noch mal anrufen würde und vielleicht könnte ich dann noch mal erklären…“ auszubrechen. Wenn ein Gedanke ständig und über Tage hinweg immer wieder in meinem Kopf rotiert und Leid verursacht, dann erst merke ich wie wichtig es ist, aus etwas auszubrechen zu können. Der Hinweis, es einfach loszulassen funktioniert nicht, denn mein Ego sagt: „Ich will aber den Menschen ja gar nicht loslassen, den ich zutiefst liebe und der mich verlassen hat“, vielleicht zu Recht, vielleicht zu Unrecht - das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist vielmehr, in der Meditation, im Zazen, wo die Motivation vielleicht höher ist, zu sagen, ich durchbreche jetzt diesen Kreislauf. Das heißt, Dharana bedeutet die Fähigkeit im Zazen, mich auf die Übung zu fokussieren und nur noch die Übung zu sein.
In der Lehre der acht Jhanastufen ist die erste Jhanastufe die Einspitzigkeit. Die Voraussetzung also, mich in in den Jhanastufen zu bewegen, ist das Erreichen der ersten Jhanastufe, in der nur die Übung da ist - mit Anstrengung verbunden, fokussiert auf eine Übung und in dieser Übung nur diese Übung zulassend. Das ist die Voraussetzung für die zweite Jhanastufe, die Freude ist. „In Anstrengung zu sein“ - damit ist erst einmal gemeint, dass ich in der Übung bin und nicht woanders, dass ich im Zazen bin und nicht woanders. Im modernen Zen (wie im Daishin-Zen) habt ihr die Möglichkeit, zu schauen und in der Menge der Übungen eure Übung zu finden, die für euch passt. Ihr braucht nicht wie im japanischen, wo man unter anderem sagt: „Nägel die raus kucken muss man reinkloppen“, alle die gleiche Übung zu machen, sondern es gibt eben verschiedene Übungen passend für euch. Die Aufgabe von Taiwa und Dokusan ist es, eure Übung zu finden, diese dann mit rechter Anstrengung so zu vertiefen, bis nur Übung ist. Im Dharana-Modus wird von euch nicht irgend eine Erfahrung gefordert, sondern es soll nur diese Übung da sein, mehr nicht. Und das ist meistens mit Anstrengung verbunden.
Wie gesagt - entweder Yang, das ist Fokussieren; und es ist erlaubt, zum Ego zu sagen „Ruhe jetzt, ich will meine Übung machen - ich geh mir selbst auf die Nerven gehen mit diesem ewig Rotierenden". Sicherlich gibt es eine Motivation, wenn ihr einmal Stille erlebt habt, wenn Kraft und Stille ist, dass immer Freude da ist, aber vielleicht auch nur, weil ihr einfach in der Übung sein wollt. - Oder einfach in der Ausdauer, in der Ausdauer, eben 25 Minuten die Übung zu üben und nicht dreieinhalb, und den Rest zu denken oder irgendwas zu tun, und darüber nachzudenken, ob das richtig ist ob ihr hier sitzt oder nicht. Oder in irgend einer Emotion zu sein, oder in irgend einer Wertung, oder in einem Gedankenfeld. Das ist alles in Ordnung, nur nicht im Zazen - sondern: In eurer Übung zu sein. Und wenn eure Übung ist „white clouds naturally come and go“, weiße Wolken kommen und gehen, und die Gedanken lasse ich ziehen dabei, dann ist das eine klassische Yin-Ausdauer-Übung, aber es ist immer noch eine Übung, und nicht etwas, das da oben eine Viertelstunde herumlabert, dann mal drei Minuten zur Übung findet und dann wieder zehn Minuten rumlabert. Und dann kann es sein, dass ihr zu dem Punkt kommt, wo die Übung „white cloud naturally come and go“ gerade nicht passt, und es kann sein, dass wir empfehlen, eine Zeit lang zum klassischen Atemzählen zu wechseln - wo iht versucht bis 10 zu kommen - und das für den Moment die richtigere Übung ist. Das Schöne im Daishin-Zen ist, dass wir verschiedene Übungskörbe haben, die für jeden Weg und jeden von euch passen. Wo Weg und Ihr und eure Geschichte passen. Und dabei ist zu entscheiden: Soll es eher Yang sein, Anstrengung, oder eher Yin, Ausdauer. Dharana - Rechte Anstrengung. Das ist immer wieder da - und es ist immer wieder ein Teil des Weges.
Dhyana - Rechte Achtsamkeit
"Rechte Achtsamkeit" möchte ich heute mal etwas anders beschreiben und ihn einfach durch das Wort „dhyana“ ersetzen. Dhyana ist einfach Meditation. Und Achtsamkeit meint jetzt nicht eine Achtsamkeitsübung - die gibt es auch; es gibt einen Korb von Übungen, die dem Thema Achtsamkeit zugerechnet werden können, aber darum geht es mir im Moment nicht. Sondern es geht um den edlen achtfachen Pfad und die Bedeutung von „rechter Achtsamkeit“. Und das meint jetzt erst einmal nur die Anweisung für die Übung. Heißt das auch, dass ich die ganze Zeit sitze und schaue, was jetzt alles passiert? Da krabbelt eine Fliege, dort fährt ein Trecker, und in meinem Kopf mach es gerade irgendwie „pling“ und dies und das? Nein, es geht erstmal wieder nur um die Übung. Ich bin ja aus dem Dharana gekommen, ich bin in der Übung - und auf einmal bin ich wirklich in der Übung. Wenn ihr in der rechten Anstrengung eine Zeit verweilt, dann öffnet sich die Dimension der rechten Achtsamkeit, öffnet sich Dhyana. Dhyana ist Meditation. Meditation bedeutet, die Übung ist auf einmal im Mittelpunkt, und sie ist mit Leichtigkeit verbunden, und diese Leichtigkeit zeitigt einen Hauch von Freude, und Helligkeit entsteht. Aber ihr seid noch da und könnt kommentieren: „Ah, hier in der Zendo ist ein Lüfter an“ oder ihr fragt „wie lange sitze ich eigentlich noch?“ Dann bringt es euch wieder raus und ihrt geht zurück ins Dharana, in die Ausdauer oder in die Anstrengung, und es passiert, dass ihr euch bald wieder im Feld von Dhyana wiederfindet.
Meditation meint, dass die Übung, das Exerzitium im Zentrum ist. Und im Gesamten außen ist ein leichtes Feld der Achtsamkeit, das euch in der Übung hält. Mal ist ein Anteil klein, mal ist das hier so und dort ist ein Gedankenimpuls… und so weiter. Ich halte sanft, ohne Anstrengung, die Übung aufrecht, mit Leichtigkeit verbunden. Das macht Spaß. Diese Dimension von Zazen ist sehr schön.
Samadhi - Rechte Versenkung
Und dies ist die Voraussetzung für den dritten Aspekt, den wir Samadhi nennen wollen - „rechte Versenkung“. Wenn ich eine Weile mit Leichtigkeit verbunden in diesem Feld von Dhyana, Meditation, verweile, dann erlebe ich manchmal folgende Situation: Die Übung ist weg, aber nicht wie im Feld von Dharana, wo die Übung weg ist und Anstrengung ersetzt wird durch Gedanken wie „was mag es heute Mittag geben“ oder „ich esse auf jeden Fall kein Fleisch und ist dafür gesorgt?". Sondern, in dem Feld von Dhyana entschwindet plötzlich für einen Moment die Übung und da ist nichts. Oder aber es ist noch Übung da, aber ihr seid soweit im Hintergrund, dass es einfach eine Präsenz ist von Übung selbst. Dann ist es für euch ratsam zu wissen, dass ihr die Übung nicht wieder suchen müsst, sondern dass ihr dann einfach das zulassen könnt. Jetzt dürft ihr loslassen, ja, jetzt ist zulassen richtig. Ihr lasst das zu ohne jeden Impuls und ohne Denken. Dann verweilt ihr ganz leicht in einer Grenze zwischen Dhyana und Samadhi. Die Übung ist weg und ein kleiner Impuls genügt und ihr selbst seid weg - Selbstvergessenheit. In Selbstvergessenheit veweilend verweilt ihr in Samadhi und dann leuchtet die Übung als Einheit auf. Ihr werdet eins mit der Übung: Die Übung verschwindet, ihrt verschwinder, es leuchtet auf und verschiedene Erfahrungen sind möglich. Noch gibt es einen fernen Beobachter, der dann sagen kann „oh, da war dies“ oder da war Glückseligkeit, oder da war eine Weite, auf jeden Fall wunderschön. Aber in Abwesenheit eines übenden und kommentierenden Ichs. Samadhi, Selbstvergessenheit, aber auch die Übung ist weg. Manchmal erleben wir die Grenze zu Samadhi auch als eine Art „einschlafen“. Einschlafen und Samadhi haben was gemeinsam. Einschlafen: Das Ego schläft ein, geht weg ins Unbewusste. Samadhi: Das Ego schläft ein, ins Überbewusste. Und so verweile ich eine Zeit in Samadhi, und das ist eine gute Sache.
Jetzt sind wir in einem Bereich des Loslassens, der Hingabe, der Einheit, und dann sind wir wieder in einem Feld der Leichtigkeit, in der wir in Achtsamkeit die Übung anhalten, und dann sind wir wieder in einem Feld der Anstrengung, wo wir einfach sagen, Mensch das war eben so schön, und ach wie doof, dass es vorbei ist! Manchmal ist eben das richtig anstrengend, weil ihr ja da wieder hinwollt, aber man kann da nicht hin, weil das "dahin" ist immer jetzt und ohne Ich, mehr nicht. Und so schwingen wir vielleicht innerhalb von fünfundzwanzig Minuten vielleicht vierzehn mal in Dharana, und vielleicht sechs-siebenmal wunderschön in Dhyana, und ein-, zweimal vielleicht, ganz kurz, in Samadhi, und das ist total normal. Das ist ein Prozess, der gehört dazu; und deshalb ist es manchmal wichtig, und das ist eigentlich der Sinn eines Sesshins, lange zu sitzen. Wir im Daishin-Zen haben das deshalb so aufgebaut, dass jeder seine Geschwindigkeit ein bisschen selbst bestimmen kann. Ihr könnt immer einen bestimmten Kernteil sitzen in Zazen. Bestimmte Zeiten sind vorgegeben, aber ihr könnt auch mehr sitzen. Ihr könnt heute Nacht hier sitzen. Niemand hindert euch, die Halle ist offen, die ganze Nacht. Und gerade in die Nacht hinein zu gehen und einfach zu sitzen... Je länger ich sitze, umso mehr lässt die anstrengende Ebene nach, weil ich dann auch ein bisschen müde bin. Das ich wird auch immer schnell müde, und plötzlich ist es immer einfacher, in diese Leichtigkeit zu kommen. Dann kommt die Müdigkeit, und man denkt, man schläft gleich ein und bevor man sich versieht: Samadhi.
Der höchste Weg ist nicht schwer, manchmal ist er anstrengend, manchmal achtsam, manchmal selbstvergessen.
17.09.2015
Der Weg zur rechten Meditation