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01.08.2014

Die Angst vor dem Leben besiegen

Von Zen-Meister Hinnerk Polenski

Wir haben heute mehr Angst vor dem Leben als vor dem Tod. Das heißt, wir bleiben lieber in unserer, uns bekannten Begrenzung, als dass wir es wagen, unbegrenzt, weit und frei zu sein. Es fehlt uns die innere Erlaubnis, der Mut, ganz zu sein. Diese Ur-Angst ist wie eine dunkle Wolke, die tabu ist, die wir nicht sehen können, die wir auch nicht aushalten können. Heilung kann deshalb nur durch den Menschen selbst entstehen, der Heilung will – ausschließlich, so. Und diese Heilung ist die Heilung von der großen Krankheit, die der Buddha benennt als die große Krankheit von Gier, Hass und Verblendung, heute oft Ausdruck der Angst.

Im Vimalakirti Sutra heißt es: das Wesentliche ist, die Sehnsucht nach Erleuchtung zu öffnen. Vimalakirti war ein großer Bodhisattva, ein Laie, dessen Aufgabe es war, in erster Linie durch sein Leben und durch sein Werk das Herz der Menschen zu berühren und den Erleuchtungsgeist und Wunsch nach Befreiung zu öffnen. Diesen Ansatz und dieses Sutra hat in erster Linie und am meisten das Daishin Zen beeinflusst.

Große Meister sagen, Erleuchtung ist die vollkommene Abwesenheit von Gier, Hass und Verblendung. Mit tiefem Respekt sage ich davor, das ist eine heroische Aussage. Ich bin froh, wenn wir Menschen es schaffen, unsern Kernschatten zu erleuchten. Wenn wir überhaupt erkennen, welche Mechanismen und welche Emotionen in uns wirken und nicht nur das nehmen, was wir glauben, was unsere Emotionen sind. Doch es gibt noch einen weiteren Aspekt, der dem Erwachen entgegen steht. Das sind wir selber, das ist unsere Erziehung, unser Glaube an unser „Klein-sein“. Das ist das innere Verbot, ganz zu sein. Wir haben zutiefst Angst davor, auszubrechen aus dem inneren Gefängnis und in die Freiheit zu treten. Und ich sage euch, genau das ist es, was ihr tun müsst, dürft, sollt und werdet! Ihr, jeder von euch hat das Recht, ein wahrer, wunderschöner Mensch zu sein. Nehmt euch dieses Recht – mit beiden Händen, erlaubt es euch, ihr selbst zu sein.

Unter der Angst liegt oft die Verletzung

Aus psychologischer Sicht gesehen liegt unter der Angst ein Teil, der etwas will, was es vielleicht ja gar nicht mehr gibt, etwas unbefriedigtes, was nicht im unmittelbaren Gegenüber ist, aber das ich in das unmittelbare Gegenüber hineinzwinge und dadurch die Welt verbiege, die Wirklichkeit raube. Und das kann sehr tief sein, es ist schon fast kein Gefühl mehr – es ist eine Ansammlung, eine Verletzung, ein Trauma. Aber auch gibt es wieder einen anderen, eine zutiefst spirituellen Aspekt: gibt es in euch etwas Größeres, etwas das alles liebt und wertschätzt, dass genau diesen Weg in euch geht, damit ihr es finden könnt? Ab einem bestimmten Punkt geht sich der „innere Weg“ selber, so hat einmal eine Schülerin zu mir gesagt. Und das stimmt auch. Es gibt die Energie des Erwachens in jedem Menschen, diese Energie macht sich bemerkbar oft als Sehnsucht, manchmal aber auch als Krankheit, Unheil oder Unwohlsein. Es ist ein schmaler Grad zwischen dem Ausdruck dieser Energie in uns und dem, was wir in der relativen Welt „mitbekommen“ haben als Verletzung oder Trauma.

Darum ist die Voraussetzung für das, was ich hier sage, immer die Sehnsucht nach Heil-Sein. Und ich spreche hier für Menschen, die einen spirituellen Weg gehen und Grenzen erreichen auf ihrem spirituellen Weg, die tiefe Erfahrungen oder kleine Erfahrungen machen und gleichzeitig auch die Grenze erleben, im Weltlichen, im Gefühls-Welten-Sein.

Es dient nicht, wenn ich nur das Phänomen verändern will, den Schmerz lindern mit Therapien und anderen Sachen entwickle, das ist alles ehrwürdig und gut, das will ich nicht kritisieren. Ich will nur den Rahmen begrenzen und sagen, Menschen, die einen spirituellen Weg gehen, werden auch mit Gefühlen konfrontiert und vielleicht mehr als sie denken. Und sie werden mit Dingen konfrontiert, die schwierig sind. Jesus Christus, der in die Wüste geht und dem Teufel begegnet, ist dieses Bild dafür. Er begegnete seinem inneren Widersacher. Jesus war ein mutiger Mann, der dort in der Wüste anhielt. Das Wichtigste ist erst mal das Anhalten, es ist die Voraussetzung für die spirituelle Entdeckung von Bodhichitta, dem Erleuchtungsgeist. Und dieses Anhalten ist die Meditation. Es ist einerseits das Streben ins Göttliche, ins Helle, ins Herz, in die Liebe, in die Güte, in die Freude, in die Gelassenheit. Samadhi hat unglaublich wunderbare Erfahrungen. Dieses Anhalten, dieser Erleuchtungsgeist, dieses Streben ist Voraussetzung, um überhaupt hier weiter zu denken.

Anhalten und dann Erforschen

Der erste Schritt ist also das Anhalten. Und nach dem Anhalten kommt die Phase des Erforschens. Anhalten ist nicht einfach, das ist meditative Praxis, das ist Übung, das ist Hara. Verschiedenste Übung, die es dort gibt, verschiedene Richtungen, die sie öffnen. Nach internen Schätzungen von Fachleuten erreichen ungefähr 50 % den nächsten Schritt mit Selbstforschung (Jiriki). Etwas 40% gehen tiefer mit Hilfe des Zen-Meisters, Taiwa und Zen-Coaching. Sie werden unterstützt durch längere Gesprächen und geschützte Felder, die sie lernen aufzubauen, das ist ein moderner spiritueller Weg, der den individuellen Hindernissen angepasst ist und hilft, diese aufzulösen. Im Daishin Zen ist das z.B. der Yin-Weg mit Unterstützung der Dhyani-Buddhas. Das ist eine Mischung aus Jiriki und Tariki (unterstützende Befreiung mit dem Meister). Acht bis zehn % brauchen Hilfe von seriösen, modernen Psychologen, Traumatherapeuten und spirituell geschulten und erfahrenen Psychiatern. Aus meiner Erfahrung sind die Schulen von Luise Reddemann und Levine extrem hilfreich. Das MBSR oder eben die Expositionstherapie kommen hinzu. Ich persönlich sehe die Ebene von Luise Reddemann als sehr hilfreich, weil sie mit einem Prinzip der geschützten Räume agiert, die natürlich extrem kompatibel sind zu dem Feld der Heilung durch die Dhyani-Buddhas.

Heilen mit den Dhynani-Buddhas

Dann kommt der dritte Teil: das Benennen und Heilen. Und eine Methode, die im Daishin Zen gibt, die außerhalb des traditionellen Zen liegt, ist das Heilen über die transzendenten Dhyana-Buddhas, über Buddha-Felder. Über geschützte Räume des reinen Heilens. Schwerpunkte sind: Das Amida-Feld der reinen Liebe. Es löst alle Ebenen der Gier und Bedürftigkeit auf.
Akshobhya, das Feld des reinen Friedens, ist in der Lage alle Ebenen von Aggressionen, Hass aufzulösen.
Vairocana, Freiheit-Feld, bildet einen Übergang zu den leeren, nicht mehr mit Buddhas verbundenen, vollkommenen Freiheitsdimension, das Ideal des ZEN, das in der Lage ist existentielle Ebenen, wie Todesangst, Lebensangst (die Ur-Ängste) aufzulösen.

Zu jedem dieser Buddha-Felder gibt es eine spezielle Eingangsübung – meistens über den Körper. Und dann, wenn diese Übung eine Kraft entwickelt hat, entsteht dort eine Initiation, ein Licht. Wir profitieren heute von der unglaublich langen Forschung des Mahayana-Buddhismus der Nalanda-Universität, die diese Felder geöffnet haben. Dieses Wissen steht modernen Meistern heute zur Verfügung. Und in dieser Initiation entsteht durch Hingabe und Erdung in der entsprechenden Übung mit der Zeit ein sicheres Feld, ein Buddha-Feld zwischen Schüler und Meister und mehr und mehr im Schüler selbst, verbunden mit einem dieser transzendenten Buddhas und damit eine Sicherheit, weil sie nicht nur auf der Personenebene basiert, die erschütterbar und relativ ist.

Dann, wenn dieses sichere Feld geöffnet ist, kann die Wurzel der Angst geöffnet werden. Und dann geschieht in diesem Feld, in diesem Licht, in dieser speziellen Dimension Stück für Stück Heilung, mal schneller, mal langsamer, mal auch sehr langsam. Mal ist es auch nur Linderung, mal dauert es Wochen, mal Monate, mal Jahre. Es gibt Verletzungen, die so unglaublich sind, da muss man sich auch Zeit nehmen.

Heilend und in dieses Feld – das ist der Weg. Ich habe die drei wesentlichen Felder genannt –
Amida, das goldene Feld,
Akshobhya, das blaue Feld
und Vairocana das weiße Feld.

Die Initiation in die Dhynani-Buddhas hat drei Geheimnisse. Jedes einzelne Feld hat eine eigene dreifache Dimension. Die drei Geheimnisse sind das rechtes Mudra, rechte Mantra und der rechte Erleuchtungsgeist. Das ist wie eine Festplatte, ja, wie ein USB-Stick. Und dann am Wichtigsten – rechter Bodhichitta, Geist, Erleuchtungsgeist – dort ist die Intention, aber auch die ist maßgeschneidert, auch die passt zu dir. Es gibt eine Intention, die Amida-Intention ist „Maitri, Karuna, Madita, Upekkha“ – „Güte, Liebe, Freude, Gelassenheit“. Aber nicht im Kopf, sondern ganzheitlich.

Der Medizin-Buddha heilt körperliches Leid

Es gibt aber noch eine Spezial-Dimension. Wenn die Verletzung, das Wurzelgift schon eine tiefe Form der Verletzung und Vergiftung ausgelöst hat oder die Sehnsucht nach Einheit so stark geworden ist, dann macht sich das mitunter auf der Ebene des Körpers deutlich, dann können Krankheit entstehen. Das ist die Ebene des Medizin-Buddhas. Der Medizin-Buddha wirkt immer auf der gleichen Ebene wie alle Buddhas wirken. Er öffnet die Dimensionen, die unter der Krankheit liegen. Wenn ihr euch also ein Bein brecht, ist die Aufgabe des Medizin-Buddhas nicht, das Bein magisch zu heilen, sondern die Ursache aufzulösen.

Körper, Rede, Geist - das ist der Weg. Diesen Weg gibt es im Daishin Zen und anderen Linien, und auch die moderne Psychologie erkennt diese Dimension. Das Gute ist also, wir sind in der Lage uns zu befreien. Manchmal dauert es länger, als wir wünschen. Das spielt keine Rolle. Weil Zeit existiert nicht. Das Entscheidende ist der Weg in Freiheit, frei zu sein – darum geht es. Dieser Weg über die Dhyani-Buddhas gehen wir im Daishin Zen bewusst im Yin-Zen, es ist der weibliche Weg, der uns in die Freiheit führt.


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