Oi Saidan Roshi ist gestorben
Nachruf von Zen-Meister Hinnerk Polenski
Oi Saidan Roshi ist tot.
Oi Saidan war der Lehrer meines Lehrers und ich nenne ihn immer den Lehrer-Lehrer von mir, von dem ich 1992 dieses Rakusu und meinen Dharma Namen Syobu bekommen habe. Was ein Symbol der Schülerschaft ist.
Oi Saidan ist 1915 geboren am 26. Februar in Nishinomiya in Japan. Und er ist sehr, sehr früh schon Mönch und Osho geworden. 1948 wurde er Jushoku (Abt) des Mosho-ji Klosters. Er ist Dharma-Nachfolger von Ichidō und in lehrte diesem Kontext Philosophie, er war Professor an der buddhistischen Hanazono-Universität. Man kann sagen, er war auch ein Schüler von Nishida, einem modernen mystischen Philosophen Japans.
Als ich 1992 das erste Mal in Japan war und Oi Saidan das erste Mal kennenlernte, kam ich bei ihm ins Dokusan. Er stellte mir eine Frage - ich habe vergessen was genau das Wort war, aber so wie „agens“. „What is agens?“ Ich war über dies Koan sehr überrascht und habe mich tiefst bemüht es zu lösen, aber ich kam wirklich nicht weiter. Dann ging ich zu Kosan ins Taiwa und schilderte mein Problem. Und Kosan sagte: Hinnerk, Oi Saidan ist nicht so gut in Latein, und er hat Dich nur gefragt, was dieses lateinische Wort heißt.
Er hat Nietzsche studiert, intensiv deutsche Philosophen, Kant, vor allen Dingen sehr stark Heidegger, und hat griechische Philosophen gelesen und sich immer mal wieder auch in Latein und Griechisch bemüht.
Ich hatte schon sehr viel Respekt vor ihm. Für mich ist jemand gegangen, der für mich die letzte höchste Autorität war. Ich habe Freunde, ich habe meinen Lehrer, Kosan ist mein Zen-Meister, und das Verhältnis so wie ich mich zu ihm fühle, ist natürlich auch großer Respekt, aber Freundschaft. Und Oi Saidan war für mich mehr Respekt als vor meinem eigenen Vater im Sinne einer übergeordneten Autorität, einer Instanz, eine Zen-Buddha-Manifestation.
Ich habe Kosan heute gesprochen und ihn natürlich gefragt, wie es ihm so geht. Und er sagte: „Im Moment“ - er sagt immer wie es ihm im Moment geht - er sagte: „Mein Herz ist weit und offen, voller Dankbarkeit, aber keine Trauer.“
Ich persönlich kann das nicht so sagen. Ich bin schon getroffen. Ich weiß nicht genau, wie sich das anfühlt, dieses getroffensein, aber es ist eine Erschütterung, die ich erlebe. Und nun muss ich sagen, es gibt sicherlich andere Schüler, wie Christoph Hatlapa, Zen-Meister, für die er der erste Lehrer war. Für mich ist Kosan mein direkter Lehrer. Ich weiß nicht, wie viele Japanreisen ich gemacht habe. Vierzehn oder achtzehn. Und die meisten waren natürlich auch Begegnung mit Oi Saidan. Immer natürlich mit meinem Lehrer. Ich habe meinen Lehrer besucht und wir waren im Hokoji. Aber es hat immer Begegnungen gegeben und Trainings oder auch Sesshins mit Oi Saidan. Mein letztes Sesshin mit ihm, im Zen- Kloster, war 2006 im November. Meine letzte Begegnung war bei einem Fest. 2010 war ein kleines Fest, damals als ich Inka-Shomei bekam, kam Oi Saidan, es gab ein Fest - es hatte nichts mit meinem Inka zu tun - es war ein Fest. Ein schönes Fest und wir haben Bier getrunken zusammen. Davon gibt es ein schönes Photo.
Es fühlt sich für mich an, als ob ein Zeitalter zu Ende geht. Also ob eine Epoche weg ist. Dabei habe ich das unglaubliche, unglaubliche, unglaubliche Glück, einen unglaublich jungen Zen-Meister zu haben, der erst siebzig ist. Aber dennoch ist es so, als wenn jemand den Fuji-san weggenommen hat. Ich bin sehr berührt und auch erschüttert. Und ich weiß es gar nicht zu fassen. Schwer auszudrücken. Wie gesagt, er war nicht mein persönlicher Lehrer. Ich habe viel mit ihm Dokusan gemacht, natürlich, Mumonkan, viele Sachen. Aber der wirkliche Lehrer, immer wieder, dieses tiefe Herzverhältnis, das war Reiko Mukai Roshi. Oi Saidan war eben der Fuji-san. Und es gab eigentlich immer Begegnungen, die besonders waren. Wir haben uns häufig immer in dieser dreier Konstellation getroffen. Ich würde sagen, dreimal, zweimal, wenn ich in Japan war.
Oi Saidan ist 1975 Abt im, man kann schon sagen legendären Tōkai-an im Myōshin-ji geworden. Ich war selber einmal im Tokai-an. Jeder der nach Kyoto kommt, muss zum Tokai-an: das ist eine eigene Stadt, die aus vielen Tempeln besteht. Und einer dieser Tempel ist das Myoshin-ji. Dort war er Abt und er hat damals noch einen sehr strengen Stil unterrichte, nach der Insan Methode. Insan war der Dharma-Nachfolger von Hakuin, der als sehr streng galt. Und erst seit 1990 ist er Oberhaupt, also Kansho, nicht nur Abt, sondern Oberhaupt, der Rinzai-shu Hokoji Linie im Hokoji Hamamatsu.
Und in den 90er Jahren öffnete er das Zen für den Westen. Soweit ich weiß, heißt Oi Saidan, sein Dharma-Name, „Der im Verborgenen wirkt.“
Es gibt gar nicht so viele Zen-Meister, wie man denkt. Oi Saidan ist sicherlich nicht der bekannteste im Westen, aber die Qualität seiner Schüler, die spricht für ihn. Das muss man schon sagen. So gibt es in Deutschland viele kleine feine Zendos, Zen-Gruppen, Schulen, eigenständige Linien, die sich direkt darauf berufen, die schon eine hohe Qualität an traditionellem Rinzai Zen bieten.
Für mich war das immer eine Herausforderung, weil ich am Anfang schon wusste, dass das Daishin Zen mit einem Fuß in Japan, aber mit dem anderen Fuß auch in Deutschland steht, und dass große Veränderungen notwendig sind, Anpassungen, in der Strenge, in der Didaktik, in vielen Sachen. Wir haben ja viele Dinge getan, denken wir nur an die Dhyani Buddhas. Den Stil wie wir Zen unterrichten, der sehr Herz-betont ist. Daishin Zen ist ein weiblicher Weg.
Kosan war immer der Mittler in diesem Feld. Wobei ich nie das Gefühl hatte, dass Oi Saidan etwas dagegen hatte. Aber er war schon auch sehr traditionell. Das war keine Abweichung, keine Veränderung. Es war eben ein anderer Stil als der der Insan-Methode. Und es war dann Kosans Aufgabe, letztlich, zu schauen, dass das Feld des Zen noch mehr verschiedene Pflanzen bekommt. Was er zur Zeit ja sehr, sehr spannend macht - von Kosan ist ja sehr Spannendes in Hamamatsu zu unterrichten z.B. Zen auf dem Internet.
Oi Saidan öffnete also auf der einen Seite den Weg für den Westen. Auf eine sehr unsichtbare Art und Weise, besonders in Deutschland. Und auf der anderen Seite war er der letzte große Lehrer der alten Zen Tradition. Er war eigentlich der letzte alte Zen-Meister dieses traditionellen Stils. Dass es davon noch einige gibt, das ist sicher. Aber die Qualität dieser unglaublichen Bezeugung von Bodhicitta, Erleuchtungsgeist, in dieser unendlich alten und großen Tradition, das ist eben nicht ein Leuchtturm, sondern nur mit dem Fuji-san zu vergleichen.
Es fühlt sich so an, als ob ein Zeitalter zu Ende geht. Und die Verantwortung für Zen und die Qualität des Zen gestiegen ist. Es ist so der erste Impuls, auch hier im Daishin Zen, zu sagen: so jetzt machen wir erstmal keine neuen Sachen mehr. Jetzt besinnen wir uns auf das, was überliefert ist, was entwickelt wurde, und versuchen da noch mehr die Qualität zu sichern und zu entwickeln.
Es ist wie ein Zeitalter, dass zu Ende geht. Der große Berg verschwindet im Nebel. Wolken treiben davon und ich schaue in den Mond des reinen landes (kisan).
"Shin fuka toku"
Der Geist läßt sich nicht festhalten.
Dennoch ist mein Herz voller Trauer.
Nachruf von Reiko Mukai Roshi, Schüler von Oi Saidan und Hinnerk Polenski