Der Weg zur "Erleuchtung"
Von einer Zen-Schülerin (32 J.)
Es ist eigentlich einfach – und dann auch wieder nicht. Dieses Nichtstun, das Loslassen, die absichtslose Offenheit, von der mein Lehrer Hinnerk Syobu Polenski spricht. Dennoch spüre ich, er erreicht mich mit seinen Worten. Und mit dem, was er mir noch vermittelt. Ich habe das Gefühl, es gibt noch keine geeignete Sprache für diese Erfahrungen, doch ich merke, nach jeder Begegnung mit meinem Lehrer fällt in mir innerlich ein Groschen und ich bin froh, dass ich gar nicht wissen oder verstehen muss, was da genau heruntergefallen oder abgefallen ist. Nach jedem Sesshin trage ich eine bestimmte Gewissheit nach Hause und für mich fühlt es sich besonders schön an, wenn sich etwas im Leben überraschend entfaltet, die Lehre meines Lehrers quasi zum Erlebnis wird.
Im Sommer bin ich in meine zweite Heimat Island gereist und verbannte mich eine Woche in die Natur in eine Hütte fernab der Zivilisation. Ich wollte vor allem Nichtstun, aber dann tappte ich doch wieder in die Ablenkungsfalle und war den ganzen Tag aktiv, denn natürlich war der Ballast aus meinem Leben mit mir gereist: Ich warf (wütend) Steine in den Fluss, kletterte (neugierig) hinter Wasserfälle, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt (Nichts!) und redete mit allen anderen Menschen in der Hütte – obwohl ich lieber geschwiegen hätte. Und ich spürte diese Sehnsucht, nachts unbedingt das Polarlicht sehen zu wollen. Beinahe erinnerte es mich an die spirituelle Suche nach der so genannten Erleuchtung.
Es passierte lange nichts
Doch da man dieses Licht nicht einfach anknipsen kann und es auch keine konkreten Vorhersagen gibt, hockte ich drei Nächte vor der Hütte und starrte ehrgeizig in den Himmel während drinnen die anderen schnarchten. Es passierte nichts und ich kam mir bei meinem Vorhaben zeitweise einsam bis lächerlich vor. Es machte noch nicht einmal Spaß, es war eher ein Kampf. In der vierten Nacht ging ich übermüdet, kraftlos früh ins Bett. Am nächsten Morgen erzählte jemand von den anderen Hüttenbewohnern, wie er zufällig auf dem Weg zur Toilette ein wunderschönes Polarlicht gesehen hatte. Er schilderte es in allen Formen und Farben. Und dass er alle geweckt hatte, nur ich hatte nichts gemerkt. In mir sammelten sich genau die Emotionen, denen ich keinen Raum mehr geben wollte: Neid, Wut, Trauer, Enttäuschung, Isolation. In den nächsten Nächten hockte ich wieder draußen. Da tippte jemand an meine Schulter und sagte: „Komm wir gehen jetzt zusammen auf den Berg, dann sind wir näher am Himmel und können das Licht vielleicht besser sehen.“ Ich willigte weniger mit dem Verstand als mit dem Herzen ein, trapste in der absoluten Finsternis den steilen Berg hoch während automatisch das Gedankenkarussell losfuhr: „Wenn ich jetzt einen falschen Schritt mache, stürze ich den Abhang runter...Und was, wenn ich das Nordlicht wieder nicht sehe?...Auf was hast du dich da eingelassen?...Wieso kannst du nicht wie die anderen einfach mal schlafen gehen oder im Robinson-Club Urlaub machen...Und wer geht da jetzt eigentlich mit mir...Mag ich den?
Ähnliche Zweifel, die ich auch am Anfang des Zen-Weges hegte. Erschöpft vom Denken, vom Vorsatz Nichts zu tun, von der Suche, ließ ich mich auf der Spitze des Berges mit einem Atemzug fallen und streckte mich aus wie eine Marionette, bei der alle Fäden fallen. Ich schaute mit bedingungsloser Hingabe in den Nachthimmel und hörte endlich mit allem auf. Mühelos. Die Müdigkeit wurde dabei zu meinem Freund beim Fallenlassen (wie bei einem Rohatsu).
Irgendwann gongte es in mir
Ich spürte das weiche Moos unter mir und wie sich der Bauch meines Begleiters beim Atmen entspannt hob und senkte. Wie bei mir. Schöne, geteilte Leere. Nichts passierte – und doch so viel. Ich spürte Weite, Leichtigkeit, Verbundensein, Wahrhaftigkeit. Etwas öffnete sich. Wie lange das dauerte? Ich hätte es nicht sagen können. Es fühlte sich an wie eine endlose Meditationsrunde, vielleicht war es aber auch nur eine Minute. Ich weiß nur, dass ich mich plötzlich mit allem verbunden fühlte, auch mit mir und alles gut, ruhig, still war – obwohl ich von außen betrachtet irgendwo in Island auf einem finsteren, steinigen Berg lag mit einem nahezu Fremden. Ziellos. Ohne Taschenlampe. Irgendwann gongte es in mir: Na, dann lass uns mal wieder runter gehen. Damit der Abstieg einfacher wurde, nahm ich mir gedankenlos eine Hand.
Und da, als ich gar nicht mehr hoffte, wartete und sehnte, knipste jemand das Polarlicht an. Der Himmel riss über uns auf und...unbeschreiblich. Mir fehlen genauso die passenden Worte für dieses Ereignis, wenn mich nach einem Sesshin jemand fragt: „Und, wie war’s?“ Ich sah jedenfalls weiß und pink, mein Wegbegleiter grün. Dann ließ ich auch diese überwältigende Freude über das Ende dieser Suche ziehen – und ging endlich schlafen. Bei mir blieb das Gefühl: Alles ist da, alles ist möglich. Und ich erinnerte mich an die Worte meines Lehrers: „Und ihr erkennt, dass das ‚Licht der unendlichen Sonne’ in eurem Herzen ist. Und dann fällt der andere Wahnsinn ab.“