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Der Weg, der mich nach Hause führt

Erfahrungsbericht einer Zen-Schülerin: Sybille, 51, zwei Kinder, Patchwork-Mutter, Führungskraft

 
Der Weg, der mich nach Hause führt
Ein früherer Kollegen schwärmte mir ein halbes Jahr lang vom Zen vor. Irgendwann begleitete ich ihn zu einem Zen-Abend. Und seitdem gehe ich alle zwei, drei Wochen dorthin. Eines Abends war der Zen-Meister dieser Gruppe dabei. Ich ging gespannt zu ihm ins Dokusan, einem Gespräch zwischen Schüler und Lehrer, das in einem besonderen Raum stattfindet. Diese Begegnung berührte mich in meinem Inneren, ein ganz tiefes Gefühl. Sicher befand ich mich auch vor dieser Begegnung schon auf einem spirituellen Weg, fühlte mich aber ein bisschen verloren, ohne einen Hafen. Als ich mit dem Zen-Lehrer sprach, wurde mir klar: „Das kann der Hafen sein, den ich immer gesucht habe, hier kann ich weitermachen.“

Seit diesem Abend meditiere ich auch regelmäßig zu Hause. Das binde ich aber nicht jedem auf die Nase. Viele in meinem Umfeld wissen zwar, dass ich Zen praktiziere, aber nicht die Kollegen in der Firma. Dennoch nahmen gerade diese schnell wahr, dass sich etwas verändert hatte, dass ich gelassener wurde.

Das ist eineinhalb Jahre her. Seitdem hat sich meine Praxis – also das Meditieren – weiterentwickelt, intensiviert. Ich sitze morgens eine halbe Stunde auf dem Meditationsbänkchen, manchmal noch ein bisschen länger. Bisweilen bin ich überrascht, dass ich 40 oder sogar 45 Minuten gesessen habe und ganz bei mir war.

Dieser Zustand, dieses „Bei-mir-sein“, bedeutet für mich: Anstatt meine Antennen nach außen zu richten, richte ich sie nach innen und versuche, in mich hineinzuschauen, in mich hineinzuhorchen. Ich konzentriere mich auf meine Gefühlswelt und spüre: „Fühle ich mich leicht an? Drückt oder blockiert da irgendetwas?“

Begegnungen mit dem Selbst

Manchmal erlebe, fühle ich dann auch etwas, was ich im weitesten Sinne als Begegnung mit mir selbst, mit dem „Geist“, dem „Göttlichen“ – da gibt es ja ganz viele Ausdrücke – bezeichne. So etwas ist schwer zu beschreiben. Es ist ein Glücksgefühl, das relativ kurz anhält. Es ist so wie eine kleine innere Glückseligkeit. Dieser kleine Moment aber macht mich ganz leicht und frei. Und die Erinnerung daran wirkt nach.

Ich musste einmal zwei Monate wegen Schulterproblemen pausieren – der Unterschied war spürbar. Wenn ich nicht meditiere, fehlt einfach ein wenig mehr Gelassenheit. Dann bin ich weniger im Fluss. Wenn ich im Fluss bin, fügen sich viele Dinge von alleine. Es gibt dann z. B. schöne, passende Begegnungen. Es passiert zum richtigen Augenblick.

Natürlich gibt es auch Tage, an denen ich denke: „Jetzt ist mir diese halbe Stunde im Bett doch noch wichtiger.“ Dann gehe ich trotzdem an meinen Meditationsplatz und sitze einfach nur fünf Minuten. Es geht darum, dranzubleiben. So ist der Zen-Weg eher leicht für mich. Ich bekämpfe mich oder „mein Ego“ nicht. Ich schaue mir an, was ich tue, was ich empfinde, und stelle fest: „Ah ja, das ist jetzt so, das gehört auch zu mir.“

Ich bin empfindsamer geworden

Ich bin auch empfindsamer geworden. Diese Erhöhung der Empfindsamkeit spüre ich. Zuerst fragte ich mich: „Was ist denn bloß mit dir los? Warum reagierst du jetzt auf viele Dinge, ist doch gar nicht deine Art?“ Also fragte ich meinen Lehrer, ob das vom Zazen kommen kann. „Natürlich“, bestätigte er, „natürlich kommt das daher.“

Ich bin emotionaler geworden, die Tränen fließen schneller, mich berühren viele Dinge, Begegnungen, Menschen eher in meinem Herzen. Und es gibt Momente, da weiß ich genau, ich tue jetzt etwas, wasich nicht mit Logik begründen kann – aber ich weiß genau, das muss ich jetzt tun. In diesen Situationen bin ich sehr im Kontakt mit mir selbst.

Ich glaube, dass letztlich alle spirituellen Wege einen gemeinsamen Ursprung und ein gemeinsames Ziel haben. Die Namen lauten nur anders. Doch sollte ich beschreiben, was „mein Ziel“ ist, dann fiele mir das schwer. Ich kann sagen: „Der Weg ist das Ziel“, das kennen viele. Ich möchte mein Bewusstsein erweitern. Doch ob das mit einem „großen Sprung“ geschieht, oder ob es ein Weg ist, der mit kleinen Schritten zum Ziel führt – ich weiß es nicht. Ich lasse mich überraschen. Ich weiß aber genau, dass dies der Weg ist, der mich nach Hause führt.

Ich glaube jedenfalls, da ist ganz viel, was wir nicht wahrnehmen. Indem ich meine Antennen oder mein Bewusstsein verfeinere und sensibilisiere, „sehe“ ich mehr. Das erfahre ich jetzt schon manchmal wenn ich in anderen Menschen ihr Wesen wahrnehme. Und ich möchte das gerne weiter intensivieren.

Wichtig ist für mich auch die Gemeinschaft mit anderen, die einen ähnlichen Weg gehen. Deshalb nehme ich an den wöchentlichen Treffen teil. Ich brauche diese Regelmäßigkeit. Ich merke, dass die Energie in der Gruppe intensiver ist, als wenn ich alleine meditiere. Und ab und zu brauche ich auch ein Sesshin, ein Seminar, weil auch das für mich Weiterentwicklung bedeutet.

Meditation führt mich und auch andere Menschen zu einer größeren Zufriedenheit. Ich versuche, mich einfach dem Fluss des Lebens hinzugeben, und dann fügt sich schon alles. Meine Erfahrung ist, gehe ich analytisch an die Dinge, dann stehe ich mir nur selbst im Weg.

Die Form wirkt hart

Viele sagen zu mir, Zen sei hart, asketisch. Und sie verstehen nicht, wie ich als Frau Zen praktizieren kann. Sie sehen nur die strenge, japanische Form. Ich bezeichne mich selbst überhaupt nicht als „hart“ – und es wird auch nicht vorausgesetzt, hart zu sein, um diesen Weg zu gehen. Man kann auch weich sein und sich trotzdem in diese Form fügen. Ein gewisses Maß an Selbstdisziplin und Ausdauer ist allerdings hilfreich. Aber es war bis jetzt zu keinem Zeitpunkt so, dass ich dachte, das geht gar nicht mehr. Auch nicht in einem siebentägigen Sesshin, dem Rohatsu. Ich bin durchaus bereit, Grenzerfahrungen zu machen, aber wenn Grenzen bei mir überschritten werden, dann sage ich klar, nein, ich mache nicht mehr mit. Aber diese Situation gab es für mich im Zen noch nicht.

Ich kann also sagen, Zen ist ein heilsamer Weg für mich.