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Und plötzlich „sah“ ich die Blüte zum ersten Mal

Erfahrungsbericht eines Zen-Schülers, 56, verheiratet, ein Sohn

 
Und plötzlich „sah“ ich die Blüte zum ersten Mal

Ich habe über Zen sehr viel gelesen, immer schon. Irgendwann interessierte ich mich für Samurais, für indische Philosophie, für östliche Philosophie und solche Dinge – und dabei bin ich auch auf Zen gestoßen. Ein Kollege riet mir, Zen auszuprobieren, doch ich dachte, das sei nicht nötig, ich hatte ja viel darüber gelesen. Dann, das ist jetzt dreizehn Jahre her, saß ich zum ersten Mal auf einem Meditationskissen und stellte fest, dass das, was ich gelesen hatte, überhaupt nicht mit dem übereinstimmte, was ich in meiner ersten Meditation erfuhr. Es war nicht so, dass das Gelesene sich nicht mit meiner Wirklichkeit deckte, aber es war ganz anders. Diese Erfahrung, den Weg wirklich zu gehen, was das Sitzen ja bedeutet, war eine ganz eigene Erfahrung. Das eine ist wie eine Landkarte, auf der der Weg genau eingezeichnet ist mit seinen Höhen und Tiefen, aber das direkte Erfahren, den Weg zu spüren, selbst zu gehen, hat eine andere Qualität.

Ich kam in eine Stille, die mir gefiel. Ich fand es schön, ruhig zu sitzen, still zu sitzen, auf mich zurückgeworfen zu werden. Das habe ich sehr genossen. Bis ich die Auswirkungen der Meditation aber bei mir in meinem Verhalten, meiner Befindlichkeit gespürt habe, verging ungefähr ein Jahr. Es öffnete sich in mir immer öfter eine Art Vogelperspektive. Durch diese „Draufsicht“ entstand eine dynamische Gelassenheit. Ich bin nach wie vor aktiv, aber in der Aktion bin ich ein Stück gelassener, nicht mehr so aufbrausend.

Da ist etwas entstanden, das aus dem Herzen kommt

Diese Veränderung wirkt auf mein Umfeld im Beruf, in der Familie und im Freundeskreis. Ich bin umgänglicher, zugewandter. Entstanden ist ein neues Verständnis für Menschen, für meine Kollegen, meine Freunde. Etwas Authentisches ist gewachsen, etwas, das aus dem Herzen kommt.

Nach mehr als einem Jahrzehnt Zen ist eine innere Sicherheit durch das tägliche Meditieren entstanden. Körperlich habe ich nur dann Schwierigkeiten, wenn ich lange sitze, bei Sesshins zum Beispiel. Diese langen Übungsphasen dauern manchmal sieben Tage und Nächte. Zu Hause meditiere ich jeden Morgen und Abend und dann möglichst noch mittags in der Firma. Ich bin relativ diszipliniert.

Was in der Meditation passiert? – Das kann ich nur aus meiner Erfahrung beantworten: Jeder Mensch, hat ein Bild, ein Konstrukt, eine Art Landkarte in sich von sich selbst. Und je tiefer ich in mich selbst hineingehe, umso tiefer kann ich Dinge erkennen, klären und reinigen. Dadurch ist nicht alles Negative verschwunden, aber eine neue Klarheit, eine Klarheit über mich selbst entstanden. Ich habe so sehr viel über mich erfahren, über die Art und Weise wie ich mich und die Welt wahrnehme.

Wenn ich sitze, kann ich mittlerweile relativ lange ohne einen Gedanken sein – ich bin dann „weg“, nicht mehr da. Nach einer gewissen Zeit verändert sich etwas in mir, da passiert etwas. Ich grübele nicht darüber nach, was und warum das so ist oder wie das passiert. Fest steht, es verändert sich etwas im meinem Inneren. Und dann sage ich: „Aha, das ist gut.“

Mein Leben hat sich nicht verändert, nur meine Wahrnehmung ist anders

Dabei führe ich äußerlich mein Leben genauso wie früher auch. Ich bin immer noch gerne mit meiner Frau zusammen, wohne immer noch im selben Ort. Es hat sich nichts verändert. Aber ich nehme die Dinge anders wahr. Ich kann Probleme, Aussagen stehen lassen. Ich habe nicht mehr den Drang, über alles, was passiert, zu urteilen. Ich kann Dinge aushalten, auf die ich früher nur reflexartig reagierte. Ich lasse Ereignisse auf mich wirken oder schaue zu, wie sich etwas verändert. Ich bin ein Beobachter.

So ist es nicht verwunderlich, dass mich die Natur heute viel stärker berührt als früher. Ein Beispiel: Bei uns am Haus blühen Obstbäume. Früher habe ich festgestellt: „Ach ja, die Bäume blühen wieder!“ Das war ein Fakt für mich. Gehe ich heute an den Bäumen vorbei, ist da nicht nur der Gedanke: „Ah, es ist wieder April, die Bäume blühen.“ Heute nehme ich zusätzlich die Blüten ganz intensiv wahr, „sehe“ sie wirklich. Ich lasse sie wirken, ohne darüber nachzudenken. Das ist eine große Veränderung: mein „Sehen“ ist anders geworden.

Mich vom Verstand zu lösen, das war die größte Schwierigkeit

Da ich kopfgesteuert bin, gab es für mich echte Schwierigkeiten. Ich versuchte lange, die vom Verstand nicht zu lösenden Rätsel im Zen, Koans genannt, mit meinem Verstand zu lösen. Da gibt es Koans wie: „Wie klingt es, wenn in einem Wald ein Baum fällt, und keiner da ist, um es zu hören?“ Das hat mich stellenweise richtig wütend gemacht, aber auch verzweifeln lassen. Ich dachte oft: „Verdammte Scheiße, das muss doch gehen. Ich muss die Lösung doch im Kopf hinkriegen.“ Aber das ist mir natürlich nicht gelungen. Mittlerweile kann ich meinen Verstand als sehr nützliches Werkzeug sehen und einsetzen – und kann Koans ohne ihn lösen.

Später machte ich Erfahrungen in und außerhalb der Meditation, die ich alleine nicht deuten konnte, da war mein Lehrer eine große Hilfe. Ich sah „bunte Sachen“ und Licht. Einmal bin ich in die Stadt gefahren und hatte plötzlich ein unglaubliches Glücksgefühl, auch das konnte ich mir nicht erklären. Wieder suchte ich mit dem Verstand nach Rationalem. Aber ich konnte es nicht erklären. Hinnerk Polenski erklärte mir zunächst für meinen suchenden Verstand die verschiedenen Stufen von Bewusstsein. Da fand ich Erklärungen - auf der Wissensebene. Das ist das eine, aber er hat mir dann auch die andere, die nicht-intellektuelle Ebene erklärt. Ich kann das mit Worten nur sehr schwer ausdrücken. Ich habe gespürt, da ist irgendetwas geschehen, was wiederum etwas in mir verändert hat.

Mein Lieblingsspruch heißt: „Es gibt keinen Weg ohne einen Schritt.“ Das heißt, ich habe ein Ziel und habe doch kein Ziel. Zen ist kein mit PowerPoint geplantes Projekt. Aber ich denke jeden Tag indirekt an „Erleuchtung“. Es gibt Zwischenschritte auf dem Weg dahin. Einmal empfand ich ein starkes Mitgefühl sowohl für mich selbst, als auch für alle Menschen, für den ganzen Planeten. Seitdem empfinde ich grundsätzlich viel stärker Mitgefühl. Und bei allem, was ich tue, schwingt so etwas mit, wie die Frage, was passiert mit dieser Welt, was tun sich Menschen an und was kann ich tun, was können wir Menschen tun?

Es braucht Mut, den dunklen Raum in sich zu betreten

Der Zen-Weg verlangt die Disziplin, täglich zu üben. Doch wenn man durchhält, dann öffnen sich Mit der Zeit entsteht so eine innere Landkarte, die mir hilft, durch das Leben zu gehen.

Ich glaube nicht an Gott, überhaupt nicht. Aber da ist eine neue Sicherheit in mir. Diese innere Landkarte ist die Grundlage meiner Entscheidungen. Sie ist feiner, stabiler und genauer geworden. Und sie ersetzt in vielen Dingen meinen Verstand, ich vertraue mir selbst auf dieser anderen Ebene.

Es ist manchmal schwierig, nur für sich alleine zu sitzen. An den Punkten, an denen wir im Unterbewusstsein spüren, dass wir auf Lebensfragen stoßen, kann Hilfe von außen wichtig sein. Oft tauchen Fragen auf, die wir uns so bisher noch nie gestellt haben. Wir „sehen“ uns, wie wir uns noch nicht gesehen haben. Und das ist nicht nur schwer, es macht auch Angst. Manchmal braucht es viel Mut, sich seinem eigenen Unterbewusstsein zu stellen, die unangenehmen Seiten anzusehen. Und oft ist das auch sehr traurig. Es schmerzt, zu erkennen, dass man selbst durch sein Verhalten, durch seine enge Sichtweise, viele Chancen und Möglichkeiten, Menschen und Freunde verprellt hat – die Erkenntnis, da ist nichts und niemand im Außen, „schuld“, das bin ich ganz allein.

Das ist sicher auch ein Grund, warum Menschen irgendwann den Zen-Weg wieder verlassen. Sie ahnen: Jetzt wird es unangenehm. Ich verletze zum Beispiel relativ schnell Menschen mit meiner Sprache. Das war mir lange gar nicht bewusst. Die Tür zu diesem „Raum“ habe ich irgendwann auch geöffnet. Dadurch konnte ich erkennen, dass ich mein Wissen oft als Waffe gegen andere Menschen einsetze. Ich habe so relativ schnell mein Gegenüber in die Ecke gedrängt, und ich hatte sogar Spaß daran. Seitdem ich immer wieder in diesen „Raum“ gehe, ändert sich das langsam. Ich bin dankbar dafür, dass ich plötzlich aus der Meditation heraus die Kraft habe, die Klinken der Türen vor den Schatten-Räumen herunter zu drücken und dann auch ungeliebte Räume zu betreten. So gesehen ist Zen für mich mein Leben.