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Hier und jetzt, frei und ewig leben

Von Abhängigkeit zur Freiheit -
aus der Freiheit entstehen Liebe und Erfüllung

Teisho gehalten bei der Schüler-Zeremonie, Sesshin Schloss Vettelhoven im Juni 2012,
von Hinnerk Syobu Polenski

Der Weg der Schülerschaft hat in erster Linie mit mir selber zu tun. Im Daishin Zen fängt er an mit der Schülerschaft auf Probe. In dieser Zeit geht es darum, herauszufinden: Ist das ein Weg für mich, in meiner Welt? Kann dieser Weg mir dienen, fühle ich mich von diesem Weg, von dieser Dimension, die das Leben ist, berührt? Wenn ich das bejahe, entsteht dann irgendwann der Weg der bestätigten Schülerschaft.

Und dann verändert sich die Dimension erneut. Der Weg, der sich zunächst ausschließlich auf mich selber richtete, mit mir zu tun hatte, wird mehr und mehr ein Weg, Anderen zu dienen. Ich erkenne, ich sitze mit anderen zusammen, und fühle den Wunsch, ihnen zu dienen. In dem Moment, in dem ich erkenne, erfahre, dass ich nicht für mich selber sitze, sondern für Andere, für alle und alles, da eröffnet sich eine weitere Dimension von Leben. Und Zen ist Leben.

Die dritte Dimension ist dann die Dharma-Schülerschaft. Das ist im Daishin Zen ein ganz besonderes Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer: ein tiefes Vertrauen, um den Weg gemeinsam in die Höhen des Matterhorns, des Berges, hinauf zu steigen.

Alles Anerzogene, Übernommene führt zu einer abhängigen Lebensweise

Der erste Schritt ist, diese Schülerschaft auszuprobieren, was bedeutet sie genau? Es gibt zwei Richtungen, in die ich mein Leben ausrichten kann. Beide sind legitime Formen. Keine schließt die andere aus. Die erste ist die abhängige Ausrichtung meines Lebens. Abhängigkeit bezeichnet in diesem Fall all die Verhaltens- und Sichtweisen, die entstanden entstehen aus anerzogenen und gelernten Sichtweisen, Mustern und Gewohnheiten. Dingen also, die mein Leben beeinflussen, aber nicht von mir selber erarbeitet, erkannt, erfahren wurden. Ich übernehme sie aus meinem Elternhaus, aus der Schule, aus meinem Umfeld, meiner Kultur usw.

In Abhängigkeit leben heißt also nichts anderes, als auf das zurückzugreifen, mein Tun zu speisen aus einer Quelle, die ich von Außen übernommen, bekommen habe. Es sind die Rahmenbedingungen, in die ich hinein geboren werde, die Erziehung, meine Lehrer in der Schule, meine Eltern, die Ansprüche, die Geschichte, all dieses Ganze - was einerseits eine Last das sein kann, aber eben auch Möglichkeiten.

Dieser abhängige Aspekt dominiert unser Leben in dieser Zeit. Es ist ein sehr pragmatischer Aspekt und es geht darum, Möglichkeiten zu schaffen und Gelegenheiten zu nutze. Da sind Ziele, die aus Vorstellungen der Vergangenheit, angepeilt werden. Das Ziel, z.B. Abitur zu machen, eine Lehre zu durchlaufen, eine Familie zu gründen. Zugrunde liegen in jedem Fall Bilder und Vorstellungen von einem "guten, sinnvollen Leben" und auch von Pflichten, was auch immer das ist für den Einzelnen, definiert sich aus dem, was uns in der Vergangenheit gesagt, beigebracht und wir erfahren haben. Der innere Antrieb eines in diesem Sinne abhängigen Lebens, das sind Gefühle wie Verlangen, Ablehnung und auch Furcht. Die Grundfrage die sich in der ersten Stufe der Schülerschaft stellt ist: "WIE lebe ich?"

Ein freies Leben ist ausgerichtet auf "etwas Höheres"

Die andere Dimension ist ein freies Leben. Diese Dimension ist immer verbunden mit Gegenwart. Die Gegenwart verändert und schafft immer neue Realitäten, da ist nichts in Stein gemeißelt. Dies ist verbunden mit Attributen wie Erfüllung und Berufung. Berufung - im Gegensatz zur Pflicht - ist die Kür. Dennoch hat es Gründe, warum diese freie Dimension heutzutage eher selten ist. Dieser freie Aspekt richtet sich auf etwas "Höheres" aus. In früheren Zeiten wurde dieses "Höhere" sehr häufig missbraucht, um wiederum Abhängigkeiten zu schaffen. Darum sind wir misstrauisch, trauen auch uns selber nicht mehr oder nur selten.

Die Dimension der Freiheit ist heutzutage also noch eine Ausnahme. Doch unsere neue Zeit löst die Abhängigkeit mehr und mehr auf, stellt sie in Frage - angefangen von Feuerbach über Nietzsche bis hin zu den großen Veränderungen des letzten Jahrhunderts. Damit wird auf der einen Seite eine neue Basis für eine große Freiheit - auf der anderen Seite aber auch eine Irritation bis hin zur Orientierungslosigkeit geschaffen. Die Freiheit, von der ich spreche, entsteht in der Ausrichtung auf etwas "Höheres" - ja, was ist denn "höher"? Darin lag auch schon der Widerspruch: Nach oben - Himmel, unten - die Welt. Im Daishin Zen gilt es zu erkennen, dass beides - Himmel und Welt - eine Einheit ist.

Schülerschaft ist die Ausrichtung auf ein befreites Leben

Schülerschaft ist also die Ausrichtung auf etwas mehr Freiheit, auf ein befreites Leben, das durch eine innere Orientierung entsteht. Und an dieser Stelle bekommen die Übungen und die Form des Weges, der Form eine neue Bedeutung. Es gilt vorgegebene Inhalte, Metaphysik, Regeln, Normen, Gebote zu erkennen, zu entlarven, aufzulösen. Das ist eine Revolution, weil der Weg jetzt nicht außerhalb von Euch ist, sondern innerhalb.

Zu Beginn des bestätigten Schülerweges steht deshalb erst mal die Frage: "Gibt es überhaupt Freiheit für mich?". Und was ist das überhaupt, Freiheit? Es ist dann nicht mehr die Aufgabe des Lehrers oder die Aufgabe des Daishin Zen, diese Antwort zu geben, sondern es ist Eure Aufgabe. Und natürlich hilft der Dialog mit dem Meister und auch mit den Mitschülern. Zu fragen: "Geht es Dir genauso?" oder "Was habe ich da gespürt?", ist es ein altes Gefühl in neuem Kleid? Oder ist das etwas Neues?

Aus dieser Freiheit wachsen Liebe und Wirklichkeit

Das heißt: die Dimension der Schülerschaft ist eine Dimension der Freiheit in meinem Leben. Und diese Ausrichtung hat wiederum drei große Orientierungen: unbedingte Freiheit, Liebe, Wirklichkeit. Da ist einmal die Freiheit, die entsteht, wenn wir unsere Anhängigkeit erkennen. Daraus folgt die Freiheit, die unbedingt ist. Also nicht Abhängigkeit, sondern das Gegenteil. Freiheit, das ist die Essenz des Rinzai Zen. Freiheit. Freiheit von mir, Freiheit von Bedingungen, Freiheit vom Meister, Freiheit von der Lehre, unbedingte Freiheit. Sie ist weit. Sie ist Licht. Sie ist hell. In unserer Tradition ist das "Heiliger Geist". Aber Zen spricht vom leeren Geist. Nicht zu verwechseln mit dem Willen, denn der "will" den Geist immer nur füllen mit dieser "Leere", mit dem, was wir gerade "wissen", an dem Punkt, an dem wir auf diesem Weg gerade sind. Das ist dann keine Freiheit.

Freiheit ist einmal eine innere Ausrichtung und gleichzeitig auch Herzweisheit, Liebe. Die Liebe, die nicht an ein Objekt gebunden werden muss, das ist Freiheit. Die Liebe, die nicht an eine conditio, eine Bedingung gebunden ist: ich werde nur geliebt wenn... - sondern sie ist frei von Äußeren. Sie ist auch frei von Bedingungen und letztlich ist sie auch frei von mir selbst. Sie ist auch frei von meiner Bedürftigkeit.

Dann leuchtet die Liebe auf in ihrer vollen Schönheit, weil wir ihr einen Raum geben. Wir engen sie nicht ein in dem Kasten meiner Bedürftigkeit, meiner Gier, meines Verlangens, meiner Ablehnung, meiner Verwirrung, oder vor allen Dingen meiner Furcht. Furcht löst Liebe auf. Die Orientierung, die aus der Freiheit erwächst, ist offene Liebe.

Und die dritte Orientierung ist die Wirklichkeit, die Erfüllung in Alltag. Die Suche, der Weg, die Unmittelbarkeit unserer Welt: die Welt so wie sie ist. Ohne Verblendung. Das Wesentliche. Wenn Alles zum Einem wird, wohin geht das Eine?

Zen ist in erster Linie ein didaktisches System

Was bedeuten die drei Ausrichtungen, Orientierungen: Freiheit, Liebe, Erfüllung? Das müsst Ihr selber herausfinden. Es ist die Ausrichtung auf die traditionellen "Drei Buddha Körper", die Trikaya. Die Essenz der Daishin Zen - als Richtlinie, diese befreite, freie Dimension selber auszufüllen. Deshalb ist Zen eben keine Religion und keine Philosophie, weil es keinen Inhalt vermittelt, sondern in erster Linie ein didaktisches System, das in euch den Inhalt, Zen aufleuchten lässt.

Zu dieser Didaktik gehört ganz wesentlich die Form, die im Rinzai Zen von tiefster Bedeutung ist. Form siegelt immer auch die innere Haltung - zum Beispiel: Wie bewegt ihr euch jetzt? Eure Bewegung ist Ausdruck eurer inneren Haltung. Ihr glaubt durch das unbewusste Bewegen verändert sich das jetzt? Ja: Eure Verwirrung nimmt zu, Euer Leiden nimmt zu. Wenn Ihr aber anhaltet im Zazen und Euren Körper spürt - dann entsteht Wirklichkeit, Erfüllung, Liebe und Freiheit.

Darum brauchen wir die Form. Diese Dimension der Form ist z.B. so wie eine Teeschale. Die Schale ist bereit, sie ist offen, damit darin EURE Ausführung dieser drei Aspekte: Freiheit, Liebe, Erfüllung - aufleuchten kann: dafür brauchen wir die Form. Dann bleibt sie in dieser Tasse, und sie wird deutlich sichtbar. Das heißt, die Ausrichtung auf Freiheit, auf ein Leben in einer Orientierung, die nicht von außen kommt. Das ist der Quantensprung, der für uns ganz individuell und vielleicht auch für uns als Gesellschaft ansteht.

Es ist eine Dimension, die von innen her aufleuchtet.